Favorite Places (1): Friedhof des Jahres
[Original-Post vom 27-05-2008]
Die Wahl ist gefallen. Auf den Alten Nordfriedhof in München. Von wegen Grabesstille. Hier herrscht Leben unter Toten. Oder genauer gesagt darüber. Was für ein Anblick:
Junge Paare, die auf den Wiesen kuscheln. Mütter, die mit ihren Söhnen Badminton spielen. Kindergartengruppen, die zum Seilhüpfen antreten. Anhänger des T’ai-Chi, die in Zeitlupe die Bäume umkreisen. Und attraktive Studentinnen, die ihre Magisterarbeit in der Sonne vollenden. Da möchte ich auch begraben werden. Geht aber leider nicht mehr. 1939 wurde der Betrieb nämlich eingestellt. Vom guten Adolf. Der wollte ihn nach dem Endsieg eigentlich platt machen, um hier seinen Alterswohnsitz errichten zu können. Aber irgendwas kam da wohl dazwischen. Den Rest des Jahrhunderts blieb dann neuen Interessenten die Mitgliedschaft ebenso verwehrt. Ist sie auch heute noch. Trotz großem Kundenpotential. Nicht immer greift das Gesetz der freien Marktwirtschaft. Gott sei Dank. Denn so bleiben uns die vielen eintönig-modernen Grabsteine erspart. Wer hier liegt, den hat es meistens Ende des 19. Jahrhunderts erwischt. Erkennt man gleich an den protzigen Familiengruften. Das waren Zeiten, als der Tod noch was wert war. Und die Grabsteine im Schnitt zwei Meter höher.
Auf die wurde natürlich auch mehr als einfach nur der Name gepinselt. Berufsbezeichnungen waren damals wichtig. Da findet man auf diesem Friedhof ein paar ganz ausgefallene. Gestatten, Georg Müller, Generalarzt 1.Klasse z.D., Ritter hoher Orden. Keine Ahnung was das bedeutet. Aber klingt einfach schön. Geht auch noch eindrucksvoller. Mit Bernhard Neithardt, königlicher Musik-Dirigent im 1.Infanterie Regiment 6. Oder wie wäre es mit Heinrich Lang, dem Schlachtenmaler. Was für ein Beruf! Hat man das damals studieren können? Ach, die alten Zeiten. Damals konnte man sich gegen seinen Beruf ja oft auch gar nicht wehren. Wie eine Inschrift auf einem Familiengrab beweist: Jakob Kurz, Weinhändler. Elise Kurz, Weinhändlers-Witwe. Helene Kurz, Weinhändlerskind. Das war noch Zusammenhalt damals.
Man kann sich hier wirklich stundenlang aufhalten. Beobachten. Staunen. Genießen. Mitleid kommt auch noch dazu. Denn dies ist nicht nur der Friedhof des Jahres. Hier liegt dazu auch noch der Pechvogel des letzten Jahrhunderts: Franz Xaver Auanger. Samt Anhang. Diese Familie hatte mal richtig Pech. Erst Anfang 1900. Da sind sie gestorben. Und dann noch mal 1944. Da wurden sie nämlich bombardiert. Genauer gesagt ihre Gräber. Die mussten dann umgebettet werden. Wie gemein ist das denn. Oder um Andy Brehme zu zitieren: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“. Da ist man schon tot, denkt jetzt kann nicht mehr viel passieren, und dann schmeißen die Alliierten einem einen 10-Zentner Brummer auf die frisch gepflanzten Margeriten. Man fragt sich aber schon, mit welcher Absicht? Ein Friedhof als Bombenziel? Seltsamer Humor. Kann nur die Royal Air Force gewesen sein. „Melde gehorsamst, erfolgreichster Angriff bisher. Keine Überlebenden, Sir!“
Ja, es mag vielleicht in keinem Reiseführer stehen, aber dieser wundervolle kleine Ort in Schwabing ist definitiv ein Pflichtbesuch für Besucher der bayrischen Hauptstadt. Und so manch depressiver Hauptfriedhof könnte von hier noch ne Menge lernen.