Subjektiver Beobachter

Favorite Places (1): Friedhof des Jahres

[Original-Post vom 27-05-2008]

Die Wahl ist gefallen. Auf den Alten Nordfriedhof in München. Von wegen Grabesstille. Hier herrscht Leben unter Toten. Oder genauer gesagt darüber. Was für ein Anblick:

Junge Paare, die auf den Wiesen kuscheln. Mütter, die mit ihren Söhnen Badminton spielen. Kindergartengruppen, die zum Seilhüpfen antreten. Anhänger des T’ai-Chi, die in Zeitlupe die Bäume umkreisen. Und attraktive Studentinnen, die ihre Magisterarbeit in der Sonne vollenden. Da möchte ich auch begraben werden. Geht aber leider nicht mehr. 1939 wurde der Betrieb nämlich eingestellt. Vom guten Adolf. Der wollte ihn nach dem Endsieg eigentlich platt machen, um hier seinen Alterswohnsitz errichten zu können. Aber irgendwas kam da wohl dazwischen. Den Rest des Jahrhunderts blieb dann neuen Interessenten die Mitgliedschaft ebenso verwehrt. Ist sie auch heute noch. Trotz großem Kundenpotential. Nicht immer greift das Gesetz der freien Marktwirtschaft. Gott sei Dank. Denn so bleiben uns die vielen eintönig-modernen Grabsteine erspart. Wer hier liegt, den hat es meistens Ende des 19. Jahrhunderts erwischt. Erkennt man gleich an den protzigen Familiengruften. Das waren Zeiten, als der Tod noch was wert war. Und die Grabsteine im Schnitt zwei Meter höher.

Auf die wurde natürlich auch mehr als einfach nur der Name gepinselt. Berufsbezeichnungen waren damals wichtig. Da findet man auf diesem Friedhof ein paar ganz ausgefallene. Gestatten, Georg Müller, Generalarzt 1.Klasse z.D., Ritter hoher Orden. Keine Ahnung was das bedeutet. Aber klingt einfach schön. Geht auch noch eindrucksvoller. Mit Bernhard Neithardt, königlicher Musik-Dirigent im 1.Infanterie Regiment 6. Oder wie wäre es mit Heinrich Lang, dem Schlachtenmaler. Was für ein Beruf! Hat man das damals studieren können? Ach, die alten Zeiten. Damals konnte man sich gegen seinen Beruf ja oft auch gar nicht wehren. Wie eine Inschrift auf einem Familiengrab beweist: Jakob Kurz, Weinhändler. Elise Kurz, Weinhändlers-Witwe. Helene Kurz, Weinhändlerskind. Das war noch Zusammenhalt damals.

Man kann sich hier wirklich stundenlang aufhalten. Beobachten. Staunen. Genießen. Mitleid kommt auch noch dazu. Denn dies ist nicht nur der Friedhof des Jahres. Hier liegt dazu auch noch der Pechvogel des letzten Jahrhunderts: Franz Xaver Auanger. Samt Anhang. Diese Familie hatte mal richtig Pech. Erst Anfang 1900. Da sind sie gestorben. Und dann noch mal 1944. Da wurden sie nämlich bombardiert. Genauer gesagt ihre Gräber. Die mussten dann umgebettet werden. Wie gemein ist das denn. Oder um Andy Brehme zu zitieren: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“. Da ist man schon tot, denkt jetzt kann nicht mehr viel passieren, und dann schmeißen die Alliierten einem einen 10-Zentner Brummer auf die frisch gepflanzten Margeriten. Man fragt sich aber schon, mit welcher Absicht? Ein Friedhof als Bombenziel? Seltsamer Humor. Kann nur die Royal Air Force gewesen sein. „Melde gehorsamst, erfolgreichster Angriff bisher. Keine Überlebenden, Sir!“

Ja, es mag vielleicht in keinem Reiseführer stehen, aber dieser wundervolle kleine Ort in Schwabing ist definitiv ein Pflichtbesuch für Besucher der bayrischen Hauptstadt. Und so manch depressiver Hauptfriedhof könnte von hier noch ne Menge lernen.

Heute beim ADAC

[Original-Post vom 15-05-2008]

Mein gelber Engel erwartet mich bereits. Mit einem Lächeln. Schließlich ist er hier, um zu helfen. Wer tut dies nicht gerne. Und verdient dabei noch. Freundlich grüßt er. Und fragt charmant, was er denn für mich tun könnte. Sehr fürsorglich. Denke ich. Der wird sich noch wundern. Denkt er.

Mein Anliegen ist simpel. Scheinbar. Eine bereits bezahlte Auslandskrankenversicherung wegen vorzeitiger Rückkehr teilweise wieder auszahlen zu lassen. „Unproblematisch“, sagte eine charmante junge Dame vor zwei Monaten. „Problematisch“, sagt der charmante junge Herr heute. Er müsse sich da erst noch einmal erkundigen. Beim weiblichen Chefengel. Alles kein Problem, sagt dieser wenig später. Ich habe ja schließlich den notwendigen Nachweis, oder? Ich lächle: „Nachweis?“ Sie lächelt „Nachweis!“. Das Spiel ist eröffnet.

Ich: „Was für ein Nachweis?“
Engel: „Wir brauchen den Nachweis, dass sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.“

Kurzes Nachdenken.

Ich: „Also, ich stehe ja vor Ihnen.“
Engel: „Das wissen wir natürlich.“

Stille. Der Engel lächelt.

Engel: „Aber das reicht leider nicht.“

Stille. Mein Kopf rattert. Dann der Fehler. Ich beschließe mit Logik die Sache anzugehen. Und greife naiv zum Geldbeutel.

Ich: „Ah, verstehe. Sie wollen meinen Ausweis sehen.“
Engel: „Ein Ausweis reicht uns leider auch nicht.“
Ich: „Wieso denn nicht? Beweist doch, dass ich hier bin.“
Engel: „Das wissen wir ja. Aber die Zentrale braucht eine Quittung.“

Die Zentrale. Omnipräsente Herrscher des gelben Imperiums. Und Schöpfer seiner so ganz eigenartigen Spielregeln. Ja, die Wege des Herrn sind manchmal unergründlich.

Ich: „Eine Quittung?“
Engel: „Eine Quittung!“
Ich: „Was für eine Quittung?“
Engel: „Zum Beispiel ihr Flugzeugticket.“
Ich: „Mmmhh…glaube nicht, dass ich das noch habe.“
Engel: „Mmmhhh… ohne Ticket ist das natürlich schwierig.“

Beide Engel lächelnd mitfühlend. Diesen Moment kennen sie nur zu gut. Es ist ihr Moment. Es ist der Moment. Für den beliebtesten Satz des deutschen Kundenservices.

Engel: „Da können wir natürlich dann leider nichts mehr für…“
Ich: „Moment!“

Ich schreite ein. Kampflos wird hier nicht aufgegeben. Die Fanfare ertönt. Gegenoffensive.

Ich: „Was wäre denn, wenn ich gar nicht mit dem Flugzeug geflogen wäre? Sondern mit dem Auto gefahren?“

Ich klopfe mir innerlich auf die Schulter. Schauen wir mal, ob sie darauf eine Antwort haben. Haben sie natürlich.

Engel: „Dann müssten sie eine Tankquittung vorlegen“
Ich (innerlich): „Mist“
Ich (laut): „Eine Tankquittung?“
Engel: „Eine Tankquittung! Von einer deutschen Tankstelle. Als Beweis, dass sie wieder hier sind.“

Sie lächeln wieder. Meine Engel. Sie bringt keiner so schnell in die Bredouille. Doch ihr Hochmut kommt zu früh. Denn der widerspenstige Kunde hat noch ein Ass im Ärmel.

Ich: „Das heißt, wenn ich jetzt schnell tanken gehe und ihnen dann die Quittung bringe, dann kann ich mein Geld einfordern?“

Die Engel lächeln nicht mehr. Schon wieder ein aufmüpfiger Kunde. Und nicht nur das. Freudig sehe ich, wie sich die restlichen Kunden um mich scharen. Und lauschen. Ganz neugierig. Es ist mir sofort klar: Junge, du biegst auf die Siegerstrasse ein. Dieser Moment muss ausgekostet werden.

Ich: „Ok, dann gehe ich jetzt einfach schnell tanken. Damit sie wissen, dass ich im Land bin. Denn im Moment existiere ich ja leider nicht. Hab mich sowieso schon den ganzen Morgen so schlapp gefühlt.“

Ich wende mich ab, um die Filiale scheinbar zu verlassen. Habe ich natürlich nicht wirklich vor. Stattdessen warte ich auf etwas anderes. Und bekomme es.

Beide Engel: „Moment.“

Gespannt liegen die Augen der Zuschauer nun auf unseren beiden ausgebildeten Servicefachkräften. Und dann kommt er. Den Satz auf den ich gewartet habe. Den Satz für den ich gekämpft habe. Den Satz, den ich verdient habe.

Engel: „Wir können für sie natürlich noch mal in der Zentrale anrufen. Vielleicht lässt sich ja doch was machen.“

Ja! Triumphierend schaue ich die restliche Kundschaft an. Ich meine, in ihren Augen tiefe Bewunderung zu sehen. Nur zu verständlich. Dem übermächtigen Feind getrotzt. Der Bürokratie ein Schnippchen geschlagen. Ich darf wirklich stolz sein. Dann kehrt der Engel zurück. Er lächelt gezwungen.

Engel: „Ok, wir schicken jetzt einfach mal eine Kopie von ihrem Ausweis an die Zentrale. Das sollte denke ich reichen.“

Ich nicke zustimmend. Und möchte den Sieg weiter auskosten. Doch dann beginnt der Engel zu lächeln. Diesmal ganz entspannt. Ich ahne schlimmes. Zu recht. Die Bürokratie schien am Boden. Doch sie rappelt sich wieder auf. Und schlägt zurück.

Engel: „Wir können natürlich nicht garantieren, ob die Zentrale das wirklich so akzeptiert.“

Das Lächeln wird immer breiter.

Engel: „Sie warten jetzt mal 10 Tage, und wenn dann das Geld nicht auf ihrem Konto ist, dann kommen sie noch mal her.“

Das große Lächeln spricht Bände. Er genießt es. Er hat es aber auch verdient. Mein Ass, die neugierigen Restkunden, hat er mit einem Schlag aus dem Spiel genommen. Und mich auf die virtuelle Ersatzbank verbannt. Ganz clever gespielt. Natürlich wird die Überweisung nie auf meinem Konto eingehen. Natürlich werde ich noch mal in die Filiale kommen müssen. Und dann werden sie besser vorbereitet sein. Das wird ein harter Kampf. Doch ich werde ihm nicht ausweichen. Egal wie schmutzig er wird.

Engel (freundlich): „Ich wünsche Ihnen noch eine wunderschönen Tag. Tschüss.“
Ich (freundlich): „Gleichfalls. Tschüss.“

Walking on the grass

[Original-Post vom 21-03-2008]

Lieben wir ihn nicht, unseren deutschen Schilderwald? So wundervoll unübersichtlich. So poesielos direkt. Doch es geht auch anders. Natürlich nicht bei uns. Schauen wir also nach Australien. Royal Botanical Gardens in Sydney und eines der wundervollsten Schilder der Welt. Gäbe übrigens auch einen guten Songtext ab.

Bitte laufen Sie auf der Wiese…
Wir laden sie ebenso dazu ein an den Rosen zu riechen,
die Bäume zu umarmen,
mit den Vögeln zu sprechen,
sich auf die Bänke zu setzen
und auf dem Rasen zu picknicken.

Japans next Topmodel

[Original-Post vom 10-03-2008]

Ein kurzes Räuspern. Keine Reaktion. Ein kleiner Stuppser. Das Schnarchen wird nur lauter. Ich gebe auf. Er hat es schon längst. Es ist kurz nach Mitternacht. In Japan. Ich sitze in der U-Bahn nach Yokohama. Die Wagen sind vollkommen überfüllt. Man könnte meinen es sei Berufsverkehr. Ein Blick in die Runde. Es ist Berufsverkehr. Um mich herum stehen, nein vegetieren Geschäftsmänner in ihren knitterfreien Anzügen. Ich komme mir vor wie in einem Zombiefilm. Auf meiner rechten Schulter hat es sich einer dieser vielen hängenden Köpfe bequem gemacht. Irgendwie niedlich – mein eigener kleiner Japaner. „Where do you come from?“ ertönt da plötzlich schüchtern von gegenüber. Die zerbrechliche Stimme passt zur Statur der Fragestellerin. Es folgt Smalltalk. Netter Smalltalk. Sie besteht darauf, mir in gebrochenem Englisch den U-Bahn-Plan zu erläutern. Ich verstehe kein Wort. Aber genieße den Moment. Wie auch die Situation am Flughafen zwei Stunden früher. Hier sorgte die liebenswürdige Frau von Infoschalter 4 für Panik bei einem verspäteten und vollkommen übermüdeten deutschen Touristen. „The last train leaves in five minutes“. Könnte eng werden, schließlich muss ich vorher noch telefonieren. Und habe kein Kleingeld. Infoschalter 4 erkennt meine scheinbar aussichtslose Lage. Sie öffnet ihr eigenes Portemonnaie, drückt mir einen Teil ihres ehrlich verdienten Geldes in die Hand und beschreibt mir lächelnd, aber bestimmt, den Weg zur nächsten Telefonzelle und dem richtigen Gleis. Manchmal liebe ich die Menschen. Wenig später sitze ich neben meinem schnarchenden Geschäftsmann und atme die schweißgefüllte Luft der Linie Tokio – Yokohama. Es ist der Eintritt in eine andere Welt.

Manche Bilder bleiben einfach hängen. Nach jedem Urlaub. So auch nach meinem Ausflug ins Land des Lächelns im Sommer 2007. Sprechende Rolltreppen. Singende Toiletten. Computergesteuerte Sushilaufbänder. Tokyo ist die organisierte Überforderung der menschlichen Sinnesorgane. Dieser Mischung aus Hektik und Hello Kitty kann man als Fremder nur mit humorvoller Intoleranz entgegentreten. Wie es eben so ist, wenn man etwas nicht begreifen kann. Vielleicht ist ja auch deswegen das Bild, was mir als erstes von diesem Urlaub in den Sinn kommt, ein ganz anderes. Keine Hektik. Keine Menschenmassen. Stattdessen befinden wir uns in einem kleinen Park. Auf einem kleinen Hügel. Im riesigen Yokohama. Mit dem Fahrrad meines Cousins habe ich mich hier hinaufgekämpft. Und werde beim verdienten Entspannungsparkbankaufenthalt nun Zeuge eines ungewöhnlichen Fotoshootings. Protagonisten: zwei Hasen und ein Japaner.

Manche Menschen gehen mit ihrem Hund in den Park. Wer sich keinen Hund leisten kann, der nimmt eben seine Großeltern. Aber mit einem Hasen? Genau der hoppelte aber aus dem kleinen roten Käfig, der von einem turnschuhtragenden Geschäftsmann mitten im Herzen der schönen Grünanlage abgestellt wurde. Und dahinter gleich noch einer. Wenn auch bedeutend kleiner. Da schauten selbst die alteingesessenen lokalen Parkbesucher verwirrt. Doch um Freilauf ging es unserem Hasenbesitzer gar nicht. Denn kaum waren unsere zwei Vierbeiner unterwegs, zückte der sympathisch wirkende Mittvierziger seine Kamera samt Weitwinkelobjektiv. Aha. Ein Fotoshooting. Aber wofür die Bilder? Als Fetisch? Oder doch nur der Geburtstag der Großmutter? Fragen über Fragen. Nur eines ist sicher: die Modelle waren nicht eingeweiht. Diese verhielten sich nämlich genauso zickig wie Heidi Klum’s abgemagerte Frischfleischbande. Beweist das Video hier. Und ist sowieso viel anschaulicher, als alles was ich hier nun dazu von mir geben könnte. Also halt ich die Klappe.

204.456

[Original-Post vom 01-03-2008]

Ein letzter Blick auf den Tachometer. 204.456 Kilometer. Ich könnte weinen. Tu ich natürlich nicht als Mann. Emotional ist der Abschied trotzdem. Das merkt auch der Gebrauchtwagenhändler. „204.456 ist ne Menge“ kommentiert er. Doch was versteht er schon. Für ihn ist es nur eine Zahl. Für mich verstecken sich dahinter klimaanlagenfreie Fahrten durch die sommerliche Hitze Italiens, Reifenpannen vor dem Münchner Olympiastadion, in voller Fahrt abfliegende Radkappen in badischen Dörfern und manch spannende Alkoholkontrolle in meiner Heimatstadt. Zugegeben, nicht jeder dieser 204.456 Kilometer geht auf mein Konto. Doch immerhin hat dieser blaue Nissan Primera fast die Hälfte seines 20-jährigen Lebens in meiner Obhut verbracht. Eine Zeit, die von tiefem beiderseitigem Respekt geprägt war. Der Wagen bekam Respekt vor einem Fahrer, der ihn knappe zehn Jahre lang ohne größere Blessuren selbst durch dichtesten Stadtverkehr, und vorbei an manch unberechenbarem Rentner, manövrierte. Das war kaum vorauszusehen, schließlich bestand ich meine Führerscheinprüfung im letzten Jahrhundert nur deswegen, weil der Prüfer ein Frischling war und an seinem ersten Arbeitstag nicht gleich zwei Leute hintereinander durchfliegen lassen wollte (ein großer Dank hier noch mal an die emotionale junge Dame, die nach ihrer nicht bestandenen Führerscheinprüfung in Tränen ausbrach und so den Prüfer, rechtzeitig zu meiner Prüfung und manch falschem Spurwechsel, für die Ängste und Nöte junger Menschen sensibilisierte).

Im Laufe der Jahre verdiente sich der Wagen aber auch meinen Respekt. Wer entgegen aller Wahrscheinlichkeiten, und manch skeptischen Kommentar des Freundschaftskreises, immer wieder die Temporäre-Überlebens-Vignette (TÜV) verliehen bekommt, den muss man einfach gern haben. Noch entscheidender für meine grenzenlose Bewunderung war aber ein Frankreichurlaub, in dem es der Wagen selbst mit gewissenlosen Autodieben aufnahm. Ein leere Parkplatz am Morgen hatte erst noch für Panik gesorgt, doch schließlich fanden wir ihn, wohlbehalten und in nur 200 Meter Entfernung, triumphierend in einem Graben wieder. Ein harter Hund. Doch alles hat ein Ende. Den Anfang nahm es in einer deutschen Werkstatt. „Stecken Sie keinen Euro mehr in diese Kiste“ riet mir ein Mechaniker, der offensichtlich das System hinter seinem Gehaltsscheck nicht verstanden hatte. Stattdessen riet er mir so schnell wie möglich zu handeln, um zumindest noch ein bisschen Profit machen zu können.

So stand ich dann also vor dem Gebrauchtwagenhändler, um 350 Euro reicher und ein Auto und tausend Erinnerungen ärmer. Ein letzter Blick. 204.456. Das Leben geht weiter. Auch für den Wagen. Denn nun geht es per Schiff nach Afrika. Die importieren nämlich alles was vier Räder hat. Hier stört es niemanden, dass der TÜV nächsten Monat abläuft. Das sich die Beifahrertür nur von innen öffnen lässt, eine der Fensterkurbeln abgebrochen und das Erste-Hilfe-Set 1996 abgelaufen ist. Hauptsache er fährt. Irgendwie. Doch was erwartet ihn dort drüben? Wird er vielleicht mit Kindersoldaten gefüllt, die dann von der Rückbank aus ganze Landstriche mit MG-Feuer überziehen? Nein, dafür würde er sich nicht hergeben. Stattdessen sehe ich den Wagen durch kleine nigerianische Dörfer fahren, in denen Kinder aus ihren Lehmhütten eilen und ihn mit großen Augen neugierig umringen. Der Kofferraum wird geöffnet – er ist prallgefüllt mit Lebensmitteln. Ein kleiner fünfjähriger Junge, gezeichnet durch die Wirren des Bürgerkrieges, kämpft sich durch die Menge. Seine einzige Hand greift einen kleinen Sack Mehl. Stolz rennt er mit ihm zurück zu seiner alleinerziehenden Mutter und seinen neun Geschwistern. Mit ihnen sitzt er dann später am Lagerfeuer, das frisch gebackene Brot in seiner Hand, und erzählt die Geschichte von der Ankunft des blauen Nissans.

Es ist eine schöne Geschichte. Eine beruhigende Geschichte. Denn trotz des Abschiedsschmerzes weiß ich so, dass der Verkauf des Wagens eine gute Sache war. Für beide Seiten. Mein Nissan bringt nun Leben und Zuversicht in die Dörfer Afrikas und gewinnt so an Stolz und Respekt. Und ich bekomme so ein gutes Gewissen. Und natürlich auch noch 350 Euro vom Händler. Davon kann ich jetzt endlich ne Playstation kaufen. Super.

Integrationsprobleme

[Original-Post vom 02-02-2008]

Selbstverständlich haben wir Deutschen unserer fünften Jahreszeit einen exakten Starttermin verpasst. Am 11.11 ab 11:11 Uhr sind wir alle fröhlich. Nun ja, jeder schafft das nicht bei uns im Südwesten. Vor allem zugezogene Norddeutsche scheitern oft kläglich. Eindeutig ein Fall verpatzter Integrationspolitik. Wo sind Beckstein und Koch, wenn man sie braucht? Wahrscheinlich mit Zipfelmütze am Feiern. Macht nichts. Klären wir halt die Ungläubigen auf. Am Besten, sie kriegen Fronterfahrung. Nehmen wir sie also mit zum Fasnachtsumzug nach Merdingen.

Merdingen? „Merdingen liegt an der westlichen Steilkante des Tunibergs, einem flachen Bergrücken in der oberrheinischen Ebene. Ein ausgesprochen mildes Klima und fruchtbare Lößböden bieten hervorragende Bedingungen für den Anbau von Wein, Obst und Spargel.“ Sagt Wikipedia. Verrät dabei aber nicht, wann 90% des Merdinger Weins konsumiert werden. Genau, beim alljährlichen „Grossen Fasnet Umzug Merdingen“. Doch gleich mal vorneweg. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass Merdingen außer Fastnachtsveranstaltungen nichts zu bieten hat. Die offizielle Webseite des Dörfchens listet da nämlich, unter anderem, eine Holzversteigerung am 12. Januar auf. Und natürlich ist da auch noch der Jan Ullrich. Der kommt nämlich aus Merdingen. Naja, eigentlich aus Rostock. Aber er hat mal ein paar Jahre in Merdingen gewohnt. Deswegen haben sie dann auch gleich eine ganze Straße nach ihm benannt. Und noch einen Platz. Das war natürlich bevor der Jan soviel Pech hatte. Jetzt ist man ja eigentlich nicht mehr so stolz drauf. Aber genauso wie Städtenamen kann man ja auch Straßennamen nachträglich nicht mehr so einfach ändern. Außer man besiegt den Kommunismus. Das wäre aber natürlich ein bisschen viel verlangt von den Merdingern. Die hätten aber zumindest wissen müssen, dass man bei der Vergabe von Straßennamen immer auf den Tod der betreffenden Person warten sollte. Man weiß ja nie, was die noch so in ihrem Leben alles anstellen wird. Außerdem bringt es kein Glück. Davon kann nicht nur der Jan, sondern auch der Martin Schmitt ein Liedchen singen. Unserem Milka-Springer haben sie im beschaulichen Furtwangen eine Umgehungsstraße gewidmet. Genau wie die Straße ging es danach für den Jungen aber ziemlich bergab. Da will man doch lieber keine eigene Straße. Oder erst wenn man tot ist. Dann müssen wir nämlich auch nicht mitansehen, wie Besoffene an unser Straßenschild pinkeln. Was uns wieder zurück zum Merdinger Fasnachtsumzug bringt.

Noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. Viele Zuschauer sind schon da. Und kräftig am trinken. Die Jecken sind ebenfalls schon in ihrer Startposition. Und kräftig am trinken. Bleibt noch genügend Zeit, den besten Platz an der Strecke zu ergattern. Und kräftig zu trinken. Der beste Platz ist natürlich immer neben dem Festwagen. In dem sitzt bereits der komplette Gemeinderat. Nicht nur der Wagen ist schon gut gefüllt. Dann geht’s endlich los. Natürlich gut organisiert. Die Zünfte halten Schilder hoch. Hier sind Name und Positionsnummer der Zunft vermerkt. Bewundernswert. Selbst im größten Suff will der Deutsche noch die Ordnung aufrechterhalten. Ein Kampf gegen Windmühlen. Denn im Suff verläuft sich halt schon mal eine Zunft. Und dann folgt eben die 31 auf die 41. Oder das Schild geht unterwegs verloren. Meistens, weil die kleine Tochter des Zunftvorsitzenden, aufgrund Nüchternheit als Einzige des Schildertragens für fähig befunden, keinen Bock mehr hat. Da landet es halt schon mal im Straßengraben. Das Schild, nicht die Tochter. Das irritiert natürlich dann den sowieso schon seit zwei Stunden nicht mehr zurechnungsfähigen Gemeinderatsvorsitzenden auf dem Festwagen. Denn der darf seiner Gemeinde ja nicht nur endlich einmal ungestraft schmutzige Witze erzählen und „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ trällern. Nein, er hat zwischen dem Weintrinken ja auch die Aufgabe, jede Zunft persönlich zu begrüßen und sich für ihr Kommen zu bedanken. Das macht er aber auch selbst nach 20 Weinschorlen und nichtauffindbaren Schildern noch ziemlich professionell:

Ah…da kummt a subba Wage jetzt. A di ham si abba widder viel Müh jegebe. Herzlisch Willkomme die…ah, i kanns Schildle ned finde. Kumme mal her, wie hisst er denn? Ah, des sinn die Brunnebutzer vum Glottatal. Uch euch ä Herzlisch Willkomme hier in Merdinge, subba, dass ihr komme sid. Unn auch euch, unsere Freunde vum Glottatal, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!

Ah…da kummt scho di nägschte Grubbe. Unsre Freunde, die Blechkabbelle vum Elztal… Moment mal, des sinns ja ned. Oh, da hams die Numma vertauscht. Des kann passiere. Wer sid ihr denn? Ah, die Ohrequäler vum Münschtatal. Schön, dass ihr komme sid in unser schönes Merdinge. Uch euch meine Freunde, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!

So geht das. 112 Zünfte lang. Doch das eigentliche Highlight folgt noch. Die Turnhalle. Hier treffen sich dann alle Jecken, ob groß oder klein, und kippen sich noch mehr Getränke rein. Eine ganze Reihe findet dann spät abends sogar noch ihre große Liebe. Zumindest für die Nacht. Manch ungewollte Schwangerschaft miteingeschlossen. Stellt sich nur die Frage nach dem Spender. Schließlich sehen ja fast alle Masken gleich aus. Man munkelt, dass eine berüchtigte Zunft aus dem Münstertal zur besseren Identifikation der Schuldigen nun Nummern auf den Kostümen anbringen will. Da sage einer, dass Narren nicht verantwortungsbewusst handeln würden. Deswege, uch euch, unsre gudde Freunde vum Münschtatal, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!

Die Turnhalle ist auf jeden Fall die Meisterprüfung für jeden Fastnachtsmuffel. Die kann man nur mit Hilfe der „Ein Kölsch, Ein Euro“-Angebote bestehen. Man muss aber das richtig Maß finden. Sonst wacht man am nächsten Morgen nicht nur mit einem Kater, sondern auch mit einem Brunnebutzer oder einer Brunneputzerin auf. Oder mit allen drei. Und die tragen keine Nummern. Fastnachtsneulingen sei also zur Vorsicht geraten. Doch auch ihr werdet euch der Heiterkeit nicht entziehen können. Und so sehen wir euch auch bestimmt nächstes Jahr wieder in Merdingen. Deswege, uch euch meine Freunde, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!

Liebeserklärung an Sandra Ahrabian

[Original-Post vom 21-01-2008]

Ich bin verliebt. Wer könnte das bei ihrem Anblick nicht sein. Diese Augen. Dieses Lächeln. Diese Figur. Seien wir ehrlich, der Grund für die Erfolgsgeschichte des deutschen Call-In TV sind nicht die attraktiven Sendezeiten, die fairen Rätsel oder die üppigen Gewinne. Nein, es sind gutaussehende Moderatoren, die das Prinzip der Marktwirtschaft erkannt und verinnerlicht haben. Nachts wird nicht geschlafen oder das Geld in Clubs verjubelt. Nein, nachts wird gearbeitet. Und niemand sieht dabei besser aus als Sandra Ahrabian von Money Express. Dank ihr bietet sich dem deutschen Mann auch nachts um halb drei, wenn die Stammkneipe geschlossen und der RTL 2 Softporno gerade beendet ist, noch ein wahres Fest für die Sinne.

Selbst schuld, wer um diese Uhrzeit im Bett liegt. Denn so verpasst man eine 169cm große Entertainmentgöttin, die selbst ein simplen Countdown zu einem erotischen Erlebnis verwandelt, und damit dem männlichen Körper auch zu spätester Uhrzeit noch einen Adrenalinschub unvergleichlicher Intensität injiziert. Bei „fünf“ schaut sie einem hypnotisierend in die Augen. Bei „vier“ beginnt sich ihr Kopf erotisch im Rhythmus zur Hintergrundmusik zu bewegen. Bei „drei“ streichen ihre Zähne sanft über ihre zarten Lippen. Bei „zwei“ dreht sie ihren Kopf schüchtern zur Seite, um uns das Gefühl zu geben, dass wir kurz aus ihrem Bann befreit sind. Doch sofort lässt sie uns wieder in ihren rehbraunen Augen versinken, um gefühlvoll die „eins“ in die Kamera zu hauchen.

Gefesselt von dieser geballten Dosis erotischer Schüchternheit und lieblicher Anmut kann man gar nicht anders, als schwärmend in seiner biergetränkten Couchgarnitur zu versinken. Doch gerade als man im Geiste mit ihr in einem Becken voller Geld versinkt, reißt einen der nun doch eher unerotische Klang des Money Express Buzzer wieder aus dem siebten Himmel. Doch so einfach lassen wir uns nicht aus dem Paradies werfen! Wir wollen mehr. Und das bekommen wir auch. Nämlich ungefähr 20 weitere erotische Countdowns pro Stunde. Die ganze Nacht lang. Mancher möge nun meinen, dass dies eine Schande sei. Dass eine solche attraktive junge Frau nachts nicht ins Fernsehen sondern in die Disco gehört, der für den Mann einzig interessanten Shoppingmeile. Doch wollen wir das wirklich? Die Sendung erlaubt uns schließlich auch mit Sandra in Kontakt zu treten, und zwar ohne dass wir unseren Bierbauch zur Schau stellen müssen. Stattdessen sind wir potenzielle Waschbrettbauchträger und Pulitzerpreisgewinner. Und nichts anderes hat Sandra schließlich verdient.

Ja, Sandra ist die Traumfrau des deutschen Fernsehens. Schließlich erfüllt sie, neben ihrem tollen Aussehen, auch noch die sechs Zusatzkriterien, die wir Männer nach jahrtausendelangem „Try-and-Error“-Verfahren für unsere perfekte Traumfrau erarbeitet haben.

1. Unsere Traumfrau muss die Aura des Exklusiven umgeben.
Niemand ist exklusiver als Sandra. Sie lässt sich nicht von jedem anquatschen. In drei Stunden nimmt sie auch schon mal nur einen Anrufer an. Kein Wunder, dass der Glückliche dann nervös ist. So wie vor kurzem Mario, der auf „Welcher Beruf beginnt mit B und hat fünf Buchstaben“ schon mal mit „Äh…das ist der Zimmermann“ antwortet. Wer mag es ihm verübeln, schließlich geht uns das ja allen so, wenn wir mit einer bezaubernden Frau konfrontiert werden.

2. Unsere Traumfrau muss generös sein.
Auch das ist Sandra. Sie beschenkt uns reichlich. Da kriegt man auch schon einmal fünf Extra-Leitungen, obwohl man ja gar nicht danach gefragt hat. Sie verdoppelt auch gerne die Gewinnsumme, auch wenn sie genau weiß, dass wir Schlingel doch wieder nur alles für Alkohol und Beate-Uhse.de verprassen werden. Und obgleich die stets aufmerksamen Money Express Produzenten uns ja eigentlich nur ein halbe Stunde Zeit pro Rätsel zugestehen, holt Sandra für uns auch schon mal ein zusätzliches Minütchen raus. Oder Stündchen.

3. Unsere Traumfrau muss Humor haben
Davon hat Sandra nun wirklich reichlich. Mit ihren Monologen könnte sie gleich zwei Quatsch Comedy Clubs füllen. Erst vor kurzem erzählte sie diese witzige Geschichte von ihrem Assistenten, der in einer Sendung doch beinahe fast über ein unachtsam daniederliegendes Kabel gestolpert ist. So ein Tollpatsch. Kicher. Sie selbst hat sich auch schon einmal neben den Stuhl gesetzt. Kicher. Und der Redakteur hat sie einmal unter seinem Tisch liegend erlebt. Ganz viel Kicher. Was die lustige Sandra da nur wieder angestellt hat?

4. Unsere Traumfrau sollte ständig an ihr körperliches Wohlergehen denken
Hier ist Sandra ganz konsequent. So erzählte Sandra letztlich, dass sie nachts immer so kleine Augen bekommt. Mit solchen Augen könnte sie zum Beispiel nie die Fehler in den Bildern ihrer Rätsel erkennen. Aber das ändert sich jetzt. Sie trinkt nämlich jetzt täglich Karottensaft. Der ist gut für die Augen. Jetzt wird sie auch wieder die Fehler finden. Aber nur wenn sie ihre Rehäuglein so ganz süß weit öffnet.

5. Unsere Traumfrau sollte hilfsbereit sein
Dies ist sicher Sandras offensichtlichste Qualität. Denn sie gibt uns ja immer so viele exzellente Hinweise. Obwohl sie das ja eigentlich nicht darf. Aber sie ist eben auch ein bisschen rebellisch. Bei den Fehlerbildern verrät sie einem zum Beispiel eine wirklich brillante Taktik: „Einfach von links nach rechts Quadratzentimeter für Quadratzentimeter absuchen.“ Bei dem Wort Quadratzentimeter verhaspelt sie sich dann allerdings fünf mal. „Ach, das ist ja auch ein schwieriges Wort“ haucht sie in die Kamera. Doch trotz Sprachbarrieren vollendet sie den Satz. Nein, Hilfsbereitschaft kennt wahrlich keine Grenzen bei Sandra. Sie weist uns sogar auf die Homepage von Money Express hin, die hat ja noch viel mehr Informationen. Aber was, wenn man die Homepage nicht findet? Schnell haucht sie noch hinzu: „Die ist im Internet“. Danke Sandra.

6. Unsere Traumfrau muss einen sympathischen Freundeskreis haben
Hier müssen wir uns keine Sorgen machen. Sandras Freunde sind sympathisch und wissbegierig. Eine Bekannte von ihr, so Sandra, würde zum Beispiel auch immer gerne bei ihr mitraten. „Die braucht immer eine Stunde und eine halbe Schachtel Zigaretten für die Rätsel“. Das glauben wir. Und freuen uns schon auf deine restlichen Freunde.

Ja, Sandra, du bringst all das mit, was wir Männer vom weiblichen Geschlecht erwarten. Und hast dich damit auch in mein Leben gequizzt. Lass mich dein Hot Button sein. Lass mich dich einmal kräftig umarmen. Das wird mit den neuen Widescreen-Bildschirmen natürlich immer schwieriger. Also müssen wir uns mal treffen. Melde dich bei mir. Meine Email-Adresse findest du auf dieser Webseite. Und diese Webseite findest du im Internet.

Die Welt zu Gast bei Rauchern

[Original-Post vom 09-01-2008]

Nein, dies wird keine weitere „Gesundheit vs. Persönlichkeitsrecht“ – Diskussion des Rauchverbots. Die ist ja eigentlich auch sinnlos. Recht haben sie ja alle. In einer guten Demokratie sollte jeder Raucher sein Recht auf Lungenkrebs einfordern und jeder Nichtraucher das Verbot dieses gesundheitsschädlichen Qualms bei ein paar Wodka Red Bull genießen können. Die ganze Aufregung ist ja auch deswegen unverständlich, da das Rauchverbot doch eigentlich beiden Seiten nur Vorteile bringt. Raucher können so nun endlich ihren eigenen Schweiß riechen, in Clubs sogar noch zusätzlich den von 150 Anderen. Und Nichtraucher können nun endlich ihre Passivrauchmenge verdoppeln, da sie von ihren Raucherfreunden ja jetzt entweder in die separaten Raucherräume der Kneipen oder deren verqualmte Wohnungen geschleppt werden. Also, wieso das Klagen? Stattdessen sollten wir feiern. Was? Natürlich den unglaublichen Imagegewinn unseres Landes.

Deutschland, das Land der gesetzestreuen Langweiler. So sah uns die Welt. Aber das ist vorbei. Erst kam die WM. Die zeigte, dass wir feiern können. Nun kommt das Rauchverbot. Das zeigt, dass selbst wir in der Lage sind Gesetze mutwillig zu brechen. Die Welt reibt sich die Augen. Alleine die unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Bundesländern. Mit Hilfe des Föderalismus schafft der Teutone Chaos. Da ist selbst der Wirt der Pizzeria Roma baff. Und fühlt sich zum ersten Mal wirklich heimisch in unserem Land.

Doch es gibt ja noch viel mehr zu bewundern. Zum Beispiel hier in Baden-Württemberg. Stets im Konjunkturhoch und der Pisa-Spitzengruppe, da hat dieses Bundesland natürlich auch in Punkto Rauchverbot Maßstäbe gesetzt. Einfach verbieten? Viel zu banal. Stattdessen zeigt man Herz. Zumindest für die Wirte mit mehreren Räumen. Die dürfen in separaten Räumen das Rauchen erlauben. Die anderen haben Pech gehabt. Doch man rechnete nicht mit dem deutschen Erfindungsreichtum. Und der neugewonnenen Rebellenmentalität. Schon fast legendär ist der Überlinger Wirt, der einfach ein Festzelt in seiner Wirtschaft aufbaute. In denen darf man schließlich rauchen. Dann ist da natürlich auch noch die bekannte Clubregelung, bei der billig produzierte Ausweise eine geschlossene Gesellschaft suggerieren sollen. Die darf nämlich auch weiter paffen.

Aber es geht auch weniger kompliziert. Und genau hier zeigt sich die breite deutsche Gesetzesbrecherfront in all ihrer Schönheit. Gehören einem zum Beispiel zwei nebeneinanderliegende Kneipen, kann man ja eine davon (natürlich die bedeutend größere) schnell zum Nebenraum der anderen erklären. So geschehen in meiner Heimatstadt. Mehrfach. Aber was wenn man keine zwei Kneipen besitzt? Oder nur einen Raum hat? Kein Problem. Elegant löst dies zum Beispiel bei uns eine kleine Kellerkneipe. Ab dem vierten Holzbalken beginnt hier offiziell der „Raucherbereich“. Oder wie wäre es mit einer Zeitregelung. Dazu müssen wir zur nächsten Kneipe wechseln. 22 Uhr. Die Bedienung verteilt plötzlich Aschenbecher. Zitat: „Wir sind jetzt eine offene geschlossene Gesellschaft. Ab jetzt darf man rauchen“. Es geht aber noch viel einfacher. Warum das Verbot nicht komplett ignorieren. Wie zum Beispiel in einigen Spelunken in abgelegeneren Stadtvierteln. Hier rauchen die Stammgäste schon seit 30 Jahren. Und tun das auch weiter. Da soll sich erst mal ein Polizist reintrauen. Die kontrollieren ja sowieso nicht. Verweisen stattdessen ans Ordnungsamt. Das sagt, es mangelt an den dafür nötigen Einsatzkräften. Und zwar öffentlich. Im Interview in der regionalen Zeitung. Auf Seite 1. Da freut sich der Wirt. Auch der Raucher. Und der Lungenkrebs.

Wir sollten uns auch freuen. Vom grauen Entchen zum Sympathieträger Europas in nur zwei Jahren. WM und Rauchverbot, hier habt ihr unser neues deutsches Lebensgefühl. Auch wir können feiern und Gesetze ignorieren. In jedem steckt eben ein kleiner Italiener. Das war aber erst der Anfang. Gebt uns noch fünf Jahre. Dann hupen wir auch an jeder Kreuzung.

Das Internet und eine Jugendliebe

[Original-Post vom 25-12-2007]

Es begann harmlos. Ein gewisser Harald stellte im Januar 2002 folgende Frage in einem Internetforum:

Hi, I’m looking for Michelle Gallagher, the actress of the 70’s children TV series „The Famous Five“ by Enid Blyton. Any ideas what she is doing now or if she has a website?

Wem der Name „Famous Five“ nun nicht bekannt vorkommt; es handelt sich hierbei um nichts anderes als die guten alten „Fünf Freunde“. Die angesprochene TV-Serie aus den späten 70er Jahren gehörte zu einer der beliebtesten Kinderserien im deutschen Fernsehen – auf jeden Fall nach der Meinung eines gewissen zehnjährigen deutschen Jungens Ende der 80er Jahre. Der erinnert sich sogar heute noch an das sympathischste Mitglied der mehrköpfigen Abenteuertruppe. Nein, nicht der Hund. Sondern die gute Georgina, die gerne ein Junge sein wollte und deswegen nur als George auftrat. Gespielt von, genau, Michelle Gallagher. Ja, dem Reiz der klassischen „Was macht eigentlich Person X heute“-Rubrik von Seite 59 kann sich auch der Autor dieser Zeilen nicht immer verwehren. Schließlich erinnert man sich doch immer wieder gerne an all die Pippis, Michels und Räubertöchter – und damit an ein Alter, in dem man sich im Urlaub noch enthusiastisch über eine gefundene 100 Lira Münze freute.

Aber was wurde nun aus Michelle Gallagher? Die Antwort folgt, 12 Forumseinträge und drei Jahre später, unter dem Pseudonym „Mama“. Und diese entfachte eine, gleichermaßen faszinierende wie auch abschreckende, Diskussion, welche schön die Probleme des heutigen „Jedermann-Journalismus“ im Internet aufzeigt. Aber erst mal Vorhang auf für „Mama“:

I knew Michele personally from around 1981 until her death. She had fallen into a very bad lifestyle after being involved in a motorcycle accident which left her partly disabled. She eventually took her own life around 2000.

Soviel zum Thema wunderschöne Kindheitsmemoiren. Doch, Moment! Wer ist eigentlich „Mama“? Woher will sie das alles wissen? Und können wir ihr überhaupt trauen? Willkommen im Internet. Bevor die anderen Forumsteilnehmer aber diese Fragen stellen, betritt ein weiterer interessanter Gast die Bühne. Wir schreiben März 2007, er ohne Punkt und Komma.

Yeah basically she was the best person in the world ever she tried to reach the stars and ended up becoming one i love you all for remembering my mother thank you.

Gezeichnet: Sean Gallagher. Sohn von Michelle. Sagt er zumindest. Willkommen im Internet. Logisch, dass er dann auch bald kommt, der erste Zweifler:

How do we know that Sean Gallagher and the person who claims to be Michelle are telling the truth?

Zeit fürs Kreuzverhör. Und eine Menge Recherchearbeit. Die findet seit geraumer Zeit auch schon auf anderen Nebenschauplätzen statt. Zum Beispiel auf Youtube. Hier meldet sich GraemePDCC. Echter Name unbekannt. Gekannt hat er dafür Michelle. Sagt er. Und erzählt dann auch von deren tragischer Lebensgeschichte – in ganzen drei Zeilen.

Mehr Gesprächsstoff gibt es immerhin auf der Webseite der Enid Blyton Society. Diese avanciert nun zum Hauptschlachtfeld. Hier will man Verifikation. Nur wie? Einer der Vorschläge: man könnte ja zum Beispiel enge Verwandte von Michelle kontaktieren. Dann auf einmal Aufregung. Es tauchen Fotos auf, die eine gealterte Michelle zeigen sollen. Nun tritt „Mama“ wieder auf. Diese sind Fälschungen. Die Menge ist skeptisch. Man fordert nun von „Mama“ Fotos der erwachsenen Michelle. „Mama“ erklärt sich bereit diese zu liefern. Man hört nie wieder von ihr. Nächste Aufregung. Andere Quellen erwecken den Anschein, als ob Michelle noch nach ihrem Tod im Fernsehen auftrat. Das wäre zugegebenermaßen etwas merkwürdig. Wieder schreitet aber jemand ein. Diesmal ist es Gary Russell. Er ist der Darsteller des „Dick“ aus der Serie. Sagt er. Und dementiert dann das Fernsehgerücht. Zur weiteren Aufklärung kann er aber auch nicht beitragen. Man kann also weiter diskutieren. Endlich stellt ein gewisser David die Gretchenfrage. Wenn auch mit fragwürdiger Kommasetzung:

„Can it be proven that anything on the Internet, is real?“

Es kommt tatsächlich eine intelligente Antwort. Diesmal von Keith. Sogar mit ordentlicher Interpunktion.

While I agree that we shouldn’t take everything we read on the internet at face value, that’s not to say that we should disbelieve everything because it’s on the internet.

Moment. Das könnte doch tatsächlich als Nährboden für eine intelligente Diskussion herhalten. Passiert natürlich nicht. Sondern stattdessen das, was in 99% aller Internetforen nach einer Zeit geschieht. Es folgt der Übergang in die Rüpelphase. Mit dem immergleichen Ablauf: sich steigernde persönlichen Beleidigungen, gelöschte Forumseinträge und dadurch angeregte oberflächliche Diskussionen über Meinungsfreiheit im Internet. Ob die nun wirklich immer wünschenswert ist? Nicht wenn man die Ideen von Bannerman65 liest. Der rätselt, ob man über die Heilsarmee einen Einblick in Michelles Sterbeurkunde bekommen könnte. Andere wiederum spekulieren über die Gründe für Michelles Freitod. Da wirft man dann auch schon mal den Verdacht einer möglichen Drogenabhängigkeit in den Raum oder diskutiert die psychologischen Prozesse, welche einen Menschen in den Selbsttod treiben können. Ein Trauerspiel. Michelle macht es ihnen aber natürlich auch sehr schwierig. Kommt sie doch aus der PreParisHilton-Epoche. Keine RTL-Explosiv-Auftritte. Keine eigene Webpage. Kein Facebook- oder Studivzaccount. Sie ist nicht im System. Gemein. Aufgeben wollen einige ihrer „Verfolger“ trotzdem nicht. Sollten sie aber.

[einige der Originalquellen sind inzwischen leider nicht mehr verfügbar – deswegen der Linkmangel]

Licht aus, Fernseher an

[Original-Post vom 09-12-2007]

Willkommen zu einer weiteren Sternstunde des deutschen Fernsehens. Aiman Abdallah macht das Licht aus. Nun ja, er macht das nicht wirklich selber. Aber er steht für Pro 7 zumindest vor dem Brandenburger Tor um LIVE davon zu berichten wie Deutschland ein Zeichen setzt. Ganz Deutschland. Nein! Einige von unbeugsamen Bürgern bevölkerte Dörfer hören nicht auf dem Unternehmen Widerstand zu leisten. Und das sieht man. Denn das Licht mag zwar am Brandenburger Tor ausgehen, dahinter, davor und daneben flackert es aber fröhlich weiter. Da muss selbst Aiman grinsen, als er vom großen Zeichen für den Klimaschutz spricht. Wahrscheinlich hat er sich auf dem Berliner Weihnachtsmarkt noch vorher kräftig einen Glühwein reingehauen, anders wäre diese Farce ja nicht auszuhalten. Der Weihnachtsmarkt in München ist übrigens auch noch hell beleuchtet. Deswegen weist uns Aiman auch noch mal darauf hin: Schaut, dahinter ist das Rathaus und da ist das Licht aus. Toll. Wir setzen ein Zeichen.

Jetzt aber schnell zu N-24, die sind nämlich auch live dabei. Allerdings weit weniger professionell. Wagen doch tatsächlich einen Kameraschwenk am Brandenburger Tor. Da wird’s jetzt aber richtig hell. Schnell wieder ins Studio. Der Moderator muss auch grinsen. Hinter ihm sieht man die Skylines deutscher Großstädte. 8:00 Uhr abends. Frankfurt. Das Licht brennt. Noch einmal weist der Moderator auf die Gefahr hin. Bitte nicht alle gleichzeitig das Licht wieder anschalten. Dann würde nämlich das Stromnetz zusammenbrechen. Und was das bedeuten würde wissen wir ja. Kein Licht mehr. Und das kann nun wirklich nicht der Zweck dieses Abends gewesen sein.