Unterwegs mit Ötzi und Margarete
by matthias
[Original-Post vom 14-09-2008]
Klingt nach Volksmusiksendung. Beschreibt aber traumatische Erlebnisse. Könnte man natürlich auch ein Lied drüber schreiben. Zum Schunkeln würde das aber wohl kaum einladen. Nach zwei Wochen Südtirol bin ich auf dem Gebiet ja jetzt Experte. Mehr Marianne und Michael geht nicht. Natürlich kann man den Radiosender wechseln. Wenn man auf Live-Andachten steht. Oder einer Fachjury unter der Leitung von Toni Polster bei der Wahl der coolsten Gemeinde Österreichs zuhören möchte. Da gehe ich doch lieber raus in die freie Natur. Die ist hier traumhaft. Aber bin ja zum Arbeiten da. Touristenattraktionen filmen. Wofür ich jetzt aber auch seelische Leiden in Rechnung stellen werde. Diese Arbeitsbedingungen sind eine Zumutung.
Mit dem Mann aus dem Eis fing es an. Eigentlich ja ne tolle Sache. Heute noch mit Speer und Pfeil auf der Gamsenjagd, morgen ein unbekleidetes Ausstellungsstück für Zahnspangen- und mp3-Player-tragende Schulklassen. Die Wege des Herrn sind unergründlich. So liegt er da nun, der Ötzi. Im Archäologiemuseum Bozen. Und darf von mir gefilmt werden. Wenn er das nur seinen Kumpels am Lagerfeuer noch erzählen könnte. Zu spät. Bin ich aber auch. Und kann die nette Pressereferentin nicht mehr aufhalten, die mich gerade noch so sympathisch durch das Museum geführt hat. Da wackelt sie auch schon davon. Und lässt mich alleine zurück. In einem menschenleeren vierstöckigen Museum. Ohne reguläre Beleuchtung. Mit gruseliger Leiche. Klasse. Gut, dass sie neben den Kasten mit der Leiche auch noch eine lebensecht wirkende Ötzifigur aufgestellt haben. Mit diesem ausstellungsstücktypischen leeren Gruselblick. Da freut sich der Adrenalinspiegel.
Ok, nur mit der Ruhe Junge. Ist ja nicht echt. Ok, die Leiche daneben schon. Aber die ist ja mausetot. Da kommt die Pressedame wieder. Wenigstens etwas lebendiges. Da geht’s mir gleich besser. „Hab noch was vergessen“ meint sie mit einem fürsorglichen Gesichtsausdruck. „Leider ist der Ötzi im Kasten im Moment nicht beleuchtet. Aber keine Sorge, das Licht wird in der nächsten Stunde irgendwann plötzlich anspringen“. Sie lächelt. Ganz entspannt. Ich lächele auch. Ganz gequält. Sie geht wieder davon. Ich bin wieder alleine. Jetzt tapfer bleiben. Und sich die Zeit für eine Situationsanalyse nehmen. Rechts: Im Dunkeln liegende gruselige Leiche. Links: Im Hellen stehende gruselige Nachbildung. Restliche Stockwerke: Menschenleer. Ach Junge, in was bist du da wieder reingeraten.
Als Mann lasse ich mir aber natürlich nichts anmerken. Und erledige tapfer den Job. Auch wenn man sich natürlich immer mal wieder vergewissert. Das diese Ötzifigur noch da steht, wo sie sich auch noch vor drei Sekunden befunden hat. Trotzdem darf sich auf die Schulter geklopft werden. Aufgabe schließlich gemeistert. War ja nicht so schlimm. Da müssen die sich schon was Besseres einfallen lassen, um mich in Panik zu versetzen. Tun sie auch. Eine Woche später. Auf Burg Schreckenstein.
Eigentlich heißt sie natürlich Burg Taufers. Nimmt ihr aber nicht viel von ihrem Schrecken. Dabei hat sie doch auch wieder so einen netten Pressereferenten. Scheint Strategie zu sein. Ein bisschen Liebe vor dem Horror. Der hier schon auf mich wartet. Zuerst gibt’s aber wieder die persönliche Führung. Durch schlecht beleuchtete Räume mit alten Gemälden von noch älteren streng dreinschauenden Herrschaften. War früher eigentlich niemand gut drauf? So wie mein Pressereferent. Der lächelt immer. Auch wenn er durch die Folterkammer spaziert. Oder im alten Gerichtssaal steht und von an Säulen gefesselten Gefangenen und Todesurteilen redet. Noch freudiger zeigt er mir dann auch das Zimmer der jungen Margarete. Ich ahne es schon. Ein Gruselzimmer. Geht das schon wieder los.
Wieder einmal ist natürlich die Liebe an allem Schuld. Die adlige Margarete und ein einfacher Mann aus dem Dorf. Sehr romantisch. Dachte der Rest des Adels aber nicht. Und lässt den jungen Mann am Tag der Hochzeit umbringen. Daraufhin sperrt sich Margarete sieben Jahre lang in ihr Zimmer. Um dann aus dem Fenster zu springen. Konsequent war sie, das muss man ihr lassen. Natürlich hört man auch heute noch ihr Weinen und Klagen. Direkt aus dem Gruselzimmer. Das ich jetzt filmen darf. Da hake ich natürlich lieber mal vorsichtig bei meinem Begleiter nach. „Aber das Weinen hört man nur nachts, nicht wahr?“ Er versucht lächelnd zu beruhigen. „Selbstverständlich“. Klingt aber nicht wirklich überzeugend. Auch wenn sich weltweit die Geister ja scheinbar tariflich auf die Nacht als Arbeitszeit festgelegt haben. Doch wie verlässlich ist jemand, der sich sieben Jahre in ein Zimmer einschließt, nur um dann aus dem Fenster zu springen? Nein, ich bin überhaupt nicht beruhigt. Und bete innerlich, jetzt nicht wieder diese Worte zu hören. Gott ignoriert meinen Wunsch. Der Pressereferent auch. Er lächelt wieder: „Ich lass sie dann mal allein.“
Ok, Ruhe bewahren. Du wirst nächstes Jahr dreißig Junge, du packst das. Du bist alleine in einer zweistöckigen Burg, voller verwinkelter und düsterer Gänge, gruseliger Gemälde, Folterkammern und einem sogar offiziell ausgeschilderten Gruselzimmer. Aber das ist doch kein Grund zur Panik. Du kannst ja einfach gehen. Wann immer du willst. Das beruhigt. So ca. zehn Sekunden. Dann höre ich, wie sich im unteren Stock ein Schlüssel im Schloss dreht. Er wird doch nicht? Ich laufe nach unten. Doch, er hat. Mich eingeschlossen. Damit mich keine der anderen Touristen stören. Wie nett von ihm. So sind wir ganz alleine. Ich und Margarete. Na also, geht doch, das mit der Panik.
Ich verzichte diesmal auf eine Situationsanalyse. Neue Taktik: Verdrängung. Das Gruselzimmer nach hinten schieben und als letztes filmen. Den Horror erstmal auf die Ersatzbank setzen. Dieser Plan wird natürlich zunichte gemacht. Von der Lichtanlage des Hauses. Jedes Mal, wenn ich einen Raum betrete, aktiviert ein Bewegungssensor ein paar spärliche Lampen. Die nach einer halben Minute aber wieder ausgehen. Sehr schön. So schafft man Atmosphäre. Man hat sich aber noch was besseres einfallen lassen. Und die Anlage einfach seit Jahren nicht mehr repariert. Da geht auch schon mal einfach so das Licht im Nebenzimmer an. Und mit ihr die Warnblinkanlage meines Grosshirns. Das versucht mit Logik entgegenzusteuern. Sicher ein Technikfehler. Aber Logik kann nicht das unvermeidliche verhindern. Und so stehe ich schließlich mittendrin. Im Gruselzimmer. In das man extra noch eine große Hexenfigur gestellt hat, damit man das Grauen auch filmen kann. Wie fürsorglich. So, und jetzt ranzoomen und das Bild scharf stellen. Sehr schön. Eigentlich reicht ja eine Einstellung, oder? Ja, das passt schon. Dann geh ich mal wieder. Und zwar am Besten sofort. „War gar nicht so schlimm Margarete, nicht wahr“ flüstere ich in einem Anflug von übermütigem Leichtsinn. Da geht das Licht im Nachbarzimmer an. Jetzt aber raus hier.