Integrationsprobleme

by matthias

[Original-Post vom 02-02-2008]

Selbstverständlich haben wir Deutschen unserer fünften Jahreszeit einen exakten Starttermin verpasst. Am 11.11 ab 11:11 Uhr sind wir alle fröhlich. Nun ja, jeder schafft das nicht bei uns im Südwesten. Vor allem zugezogene Norddeutsche scheitern oft kläglich. Eindeutig ein Fall verpatzter Integrationspolitik. Wo sind Beckstein und Koch, wenn man sie braucht? Wahrscheinlich mit Zipfelmütze am Feiern. Macht nichts. Klären wir halt die Ungläubigen auf. Am Besten, sie kriegen Fronterfahrung. Nehmen wir sie also mit zum Fasnachtsumzug nach Merdingen.

Merdingen? „Merdingen liegt an der westlichen Steilkante des Tunibergs, einem flachen Bergrücken in der oberrheinischen Ebene. Ein ausgesprochen mildes Klima und fruchtbare Lößböden bieten hervorragende Bedingungen für den Anbau von Wein, Obst und Spargel.“ Sagt Wikipedia. Verrät dabei aber nicht, wann 90% des Merdinger Weins konsumiert werden. Genau, beim alljährlichen „Grossen Fasnet Umzug Merdingen“. Doch gleich mal vorneweg. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass Merdingen außer Fastnachtsveranstaltungen nichts zu bieten hat. Die offizielle Webseite des Dörfchens listet da nämlich, unter anderem, eine Holzversteigerung am 12. Januar auf. Und natürlich ist da auch noch der Jan Ullrich. Der kommt nämlich aus Merdingen. Naja, eigentlich aus Rostock. Aber er hat mal ein paar Jahre in Merdingen gewohnt. Deswegen haben sie dann auch gleich eine ganze Straße nach ihm benannt. Und noch einen Platz. Das war natürlich bevor der Jan soviel Pech hatte. Jetzt ist man ja eigentlich nicht mehr so stolz drauf. Aber genauso wie Städtenamen kann man ja auch Straßennamen nachträglich nicht mehr so einfach ändern. Außer man besiegt den Kommunismus. Das wäre aber natürlich ein bisschen viel verlangt von den Merdingern. Die hätten aber zumindest wissen müssen, dass man bei der Vergabe von Straßennamen immer auf den Tod der betreffenden Person warten sollte. Man weiß ja nie, was die noch so in ihrem Leben alles anstellen wird. Außerdem bringt es kein Glück. Davon kann nicht nur der Jan, sondern auch der Martin Schmitt ein Liedchen singen. Unserem Milka-Springer haben sie im beschaulichen Furtwangen eine Umgehungsstraße gewidmet. Genau wie die Straße ging es danach für den Jungen aber ziemlich bergab. Da will man doch lieber keine eigene Straße. Oder erst wenn man tot ist. Dann müssen wir nämlich auch nicht mitansehen, wie Besoffene an unser Straßenschild pinkeln. Was uns wieder zurück zum Merdinger Fasnachtsumzug bringt.

Noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. Viele Zuschauer sind schon da. Und kräftig am trinken. Die Jecken sind ebenfalls schon in ihrer Startposition. Und kräftig am trinken. Bleibt noch genügend Zeit, den besten Platz an der Strecke zu ergattern. Und kräftig zu trinken. Der beste Platz ist natürlich immer neben dem Festwagen. In dem sitzt bereits der komplette Gemeinderat. Nicht nur der Wagen ist schon gut gefüllt. Dann geht’s endlich los. Natürlich gut organisiert. Die Zünfte halten Schilder hoch. Hier sind Name und Positionsnummer der Zunft vermerkt. Bewundernswert. Selbst im größten Suff will der Deutsche noch die Ordnung aufrechterhalten. Ein Kampf gegen Windmühlen. Denn im Suff verläuft sich halt schon mal eine Zunft. Und dann folgt eben die 31 auf die 41. Oder das Schild geht unterwegs verloren. Meistens, weil die kleine Tochter des Zunftvorsitzenden, aufgrund Nüchternheit als Einzige des Schildertragens für fähig befunden, keinen Bock mehr hat. Da landet es halt schon mal im Straßengraben. Das Schild, nicht die Tochter. Das irritiert natürlich dann den sowieso schon seit zwei Stunden nicht mehr zurechnungsfähigen Gemeinderatsvorsitzenden auf dem Festwagen. Denn der darf seiner Gemeinde ja nicht nur endlich einmal ungestraft schmutzige Witze erzählen und „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ trällern. Nein, er hat zwischen dem Weintrinken ja auch die Aufgabe, jede Zunft persönlich zu begrüßen und sich für ihr Kommen zu bedanken. Das macht er aber auch selbst nach 20 Weinschorlen und nichtauffindbaren Schildern noch ziemlich professionell:

Ah…da kummt a subba Wage jetzt. A di ham si abba widder viel Müh jegebe. Herzlisch Willkomme die…ah, i kanns Schildle ned finde. Kumme mal her, wie hisst er denn? Ah, des sinn die Brunnebutzer vum Glottatal. Uch euch ä Herzlisch Willkomme hier in Merdinge, subba, dass ihr komme sid. Unn auch euch, unsere Freunde vum Glottatal, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!

Ah…da kummt scho di nägschte Grubbe. Unsre Freunde, die Blechkabbelle vum Elztal… Moment mal, des sinns ja ned. Oh, da hams die Numma vertauscht. Des kann passiere. Wer sid ihr denn? Ah, die Ohrequäler vum Münschtatal. Schön, dass ihr komme sid in unser schönes Merdinge. Uch euch meine Freunde, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!

So geht das. 112 Zünfte lang. Doch das eigentliche Highlight folgt noch. Die Turnhalle. Hier treffen sich dann alle Jecken, ob groß oder klein, und kippen sich noch mehr Getränke rein. Eine ganze Reihe findet dann spät abends sogar noch ihre große Liebe. Zumindest für die Nacht. Manch ungewollte Schwangerschaft miteingeschlossen. Stellt sich nur die Frage nach dem Spender. Schließlich sehen ja fast alle Masken gleich aus. Man munkelt, dass eine berüchtigte Zunft aus dem Münstertal zur besseren Identifikation der Schuldigen nun Nummern auf den Kostümen anbringen will. Da sage einer, dass Narren nicht verantwortungsbewusst handeln würden. Deswege, uch euch, unsre gudde Freunde vum Münschtatal, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!

Die Turnhalle ist auf jeden Fall die Meisterprüfung für jeden Fastnachtsmuffel. Die kann man nur mit Hilfe der „Ein Kölsch, Ein Euro“-Angebote bestehen. Man muss aber das richtig Maß finden. Sonst wacht man am nächsten Morgen nicht nur mit einem Kater, sondern auch mit einem Brunnebutzer oder einer Brunneputzerin auf. Oder mit allen drei. Und die tragen keine Nummern. Fastnachtsneulingen sei also zur Vorsicht geraten. Doch auch ihr werdet euch der Heiterkeit nicht entziehen können. Und so sehen wir euch auch bestimmt nächstes Jahr wieder in Merdingen. Deswege, uch euch meine Freunde, ä drifach kräftisches: Narri, Narro! Narri, Narro! Narri, Narro!